10.12.2020, 10:02

Privatbankvorstand über Immoaktien: "Seltsames Missverhältnis"

Großinvestoren werden auf der Suche nach unterbewerteten Titeln bald auf den ATX stoßen, sagt Eduard Berger, Vorstandsmitglied der Wiener Privatbank. Immobilientitel seien stark unterbewertet, meint er gegenüber FONDS professionell ONLINE. Erwarten könne man außerdem kleinere "Börsenneulinge".

© Wiener Privatbank/georgeye

Eduard Berger, Vorstand bei der Wiener Privatbank, erwartet, dass der ATX in den kommenden sechs Monaten auf 3.000 Punkte klettert.

Der ATX fällt derzeit etwas aus dem Bild: Große Indizes wie S&P 500 oder MSCI World notieren nach dem massiven Einbruch im März wieder auf Rekordständen; der DAX ist ebenfalls an seinen Spitzenwert herangerückt. Im österreichische Leitindex sind Höchstwerte (2008) hingegen komplett außer Griffweite, aber selbst auf "Vor-Corona-Standards" fehlt dem ATX noch ein gutes Stück. Eduard Berger, Vorstandsmitglied der Wiener Privatbank, geht davon aus, dass sich das bald ändert. 

Er sieht gute Gründe, dass in den kommenden beiden Quartalen zumindest die 3.000-Punkte-Marke erreicht wird – zur Zeit liegt der Index bei gut 2.660, der Jahreshöchstwert im Februar lag bei rund 3.230 Punkten. Das Wiener Parkett sei als kleinerer Markt nach Ausbruch der Corona-Pandemie abgestraft worden, weil in Krisen Liquidität im Vordergrund steht. "In einer zweiten Erholungswelle werden die Investoren schauen, welche Titel unter alten Bewertungen zurückgeblieben sind", sagt Berger gegenüber der Redaktion. Insbesondere erwartet er eine starke Erholung der hart getroffenen österreichischen Immobilienaktien.

Unter NAV
Immofinanz, CA Immo oder S Immo haben im Frühjahr nach Krisenausbruch rund die Hälfte ihres Börsenwerts verloren und sich bisher nur bedingt erholt. Alle notieren weiter unter ihrem Nettoinventarwert (NAV). Die Immobiliengesellschaften seien sehr gut finanziert und auch wirtschaftlich gut durch die Krise gekommen – trotzdem aber an der Börse über die Maßen ausverkauft worden, so Berger. "Wenn eine Immofinanz nur drei Prozent auf das Immobilienvermögen abschreiben muss, aber die Aktie 50 Prozent verliert, dann ist das ein seltsames Missverhältnis", sagt er. "Es gibt kaum einen rationalen Grund dafür, dass diese Immobilienunternehmen unter dem NAV liegen", so Berger. Die Titel seien aufgrund von Homeoffice und der Unsicherheit bei den Gewerbeimmobilien aus den Portfolios geworfen worden. Dabei habe sich der Immobilienmarkt als vergleichsweise stabil erwiesen. Beim Büromarkt könne man aufgrund der Konjunkturausblicke von einer Normalisierung ausgehen. Und die Nachfrage im privaten Wohnbereich sei ebenso da, wie jene der Anleger nach Vorsorgewohnungen.

Auch bei der Immofinanz sieht er nach dem Buwog-Urteil keine Bedenken – etwa aufgrund von möglichen Schadenersatzansprüchen. In der Vorwoche wurden wie berichtet mehrere (nicht rechtskräftige) langjährige Haftstrafen verhängt, weil die Richterin es als gegeben ansah, dass rund um den Verkauf von 60.000 Buwog-Wohnungen an ein Konsortium, dem die Immofinanz angehörte, Bestechungsgelder flossen. Konkurrent CA Immo war damals, 2004, als anfänglicher Bestbieter leer ausgegangen. Es gebe keine Signale aus dem Markt oder von Rechtsexperten, dass es zu einer Rückabwicklung des Deals komme. Die Kaufempfehlung und die hohen Kurserwartungen für die Immofinanz blieben weiter aufrecht.

Hoffnung auf Banken
Schwung erwartet Berger sich auch von den Banken, die den ATX dominieren, derzeit aber unter ihren Buchwerten notieren. Natürlich werde es einen Anstieg der faulen Kredite (NPL) geben. Man müsse das im Auge behalten. Dem gegenüber stünde aber, dass Österreichs Banken gut kapitalisiert seien und bereits vor der Corona-Krise ihre Vorsicht bei Kreditvergaben erhöht hätten und so auf einer guten Position stünden.

Generell lasse das Verhalten der internationalen Großanleger sehr viel Optimismus zu: "Für die Investoren ist der Einbruch der Aktienmärkte kein Thema mehr. Alles schaut nur noch auf den Ausblick, auf Geschäftsmodelle, die Bestand haben", so Berger. Während Produktionsausfälle in Asien längst kein Thema mehr seien, und auch Deutschlands Industrie sei sehr positiv gestimmt ist, würden die Signale aus Österreich ebenfalls deutlich aufhellen. Bestes Beispiel seien die wöchentlichen Meldungen neuer Aufträge beim Anlagenbauer Andritz. Aktien seien im momentanen Umfeld jedenfalls weiter nicht wegzudenken. "Wir haben weltweit Unternehmens- und Staatsanleihen im Nominalwert von 17 Billionen Dollar, die negativ verzinst sind", so Berger.

"Der Wiener Börse fehlen Kapitalerhöhungen"
Was Neuzugänge am österreichischen Aktienmarkt betrifft, müssen sich Anleger wohl auch künftig mit kleineren Werten zufrieden geben. Die Wiener Privatbank hat heuer die einzigen zwei Börsengänge am "direct market plus" begleitet (Aventa und Biogena). Dieses "Einstiegssegment" an der Wiener Börse ist für kleinere Unternehmen gedacht – sie müssen hier geringere Zugangsvoraussetzungen und Folgepflichten erfüllen. "Da hängt es ganz von den Firmen ab, ob sie in ein höheres Segment aufsteigen wollen", sagt Berger. Es gebe derzeit "einige kleinere Unternehmen, die den selben Weg einschlagen wollen", aber keine großen IPO-Kandidaten. "Was die Börse bräuchte, sind Kapitalerhöhungen, damit es mehr Liquidität in den Titeln gibt. Da sehe ich aber nichts kommen. Hier haben wir einfach eine zu starke Konkurrenz durch das Fremdkapital. Es ist weiterhin sehr günstig für Unternehmen, sich über Fremdkapital zu finanzieren", so der Experte. (eml)

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